Originalbeilage Nr. 19


Edition, Originalbeilage zum Kunstmagazins Quart, Ausgabe Nr. 19
Signiert und nummeriert, Auflage: 2000 Stk,

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© Origianalbeilage Nr. 19, Quart, 2012



ICH VERSPRECHE, AB SOFORT EIGENVERANTWORTUNG ZU ÜBERNEHMEN*


Tereza Kotyk

„Nähe“ und „Ferne“ sind heutzutage äußerst schwierige Bereiche. Und Grenzen. Grenzen stehen immer wieder zur Diskussion. Vor allem die eines Sozialstaats. Und dieser verhandelt vor allem Begriffe wie Eigenverantwortung und Individualisierung, die zu einer Selbstbestimmung führen sollten. Fern jeglicher Fremdbestimmung. Aber das führt Menschen gerade wegen ihrer Individualisierung oftmals weit an den Rand des Staates, der Gesellschaft. Im Video Romanes, 2009, hat Annja Krautgasser die Frage nach Eigenverantwortung jugendlichen Roma und Sinti im Lager Villaggio Attrezzato im römischen Stadtteil Centocello gestellt, die als ethnisch und zugleich sozial marginalisierte Gruppen vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben ferngehalten werden. Im Video gehen die Jugendlichen unterschiedlich mit dieser künstlerischen Nähe um. Sie befragen sich gegenseitig zu einem „normalen Leben“ – jenseits der auferlegten Grenzen. Ein Mädchen erzählt davon, sich gelegentlich aus dem ständig bewachten Lager zu schwindeln, um sich zumindest für kurze Zeit aus der Fremdbestimmung in die persönliche Freiheit zu stehlen. Damit sich der eigene Körper wieder an das Gefühl der Selbstbestimmung erinnern kann. Ohne sich dabei entblößt zu fühlen. Dieses Gefühl wollten auch jene verhindern, die die Postkarte „Ich verspreche …“ mit dem Kauf des Heftes „Quart“ erhalten haben.* Denn Krautgasser hat die Postkarte als partizipatives Objekt mit einem bestimmten Sendungsbewusstsein versehen. Und gerade weil sie auf der Rückseite der Postkarte die dringliche Aufforderung äußerte, sich angesichts der prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen Gedanken zur eigenen Position innerhalb der sozialen, ökologischen und politischen Gemeinschaft zu machen und ihr die Postkarte unterschrieben als Antwort wieder zurückzuschicken, folgte das große Schweigen. Ein Schweigen, das alle eint. Nämlich all jene, die in der neoliberalen Leistungsgesellschaft immer gleicher werden, weil das Andere an ferne Grenzen gedrängt wird und das Individuum in der Nähe keine Antwort mehr geben kann. Denn hier begegnet es überall nur noch sich selbst. Und ist dadurch von sich selbst erschöpft und einfach nur mehr müde (Byung-Chul Han). Für Eigenverantwortung reicht es da nicht mehr. Vor allem wenn eine Postkarte zu nahe gekommen ist und Grenzen überschritten hat. Und so wird über die Postkarte fremdbestimmt, um sie stattdessen als Kunst-werk in Besitz zu nehmen.

*Originalbeilage Nr. 19, Finnpappe, 21 x 14,8 cm, Bleisatz: „Quart Heft für Kultur Tirol“, Nr. 19/2012



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© Origianalbeilage Nr. 19, Quart, 2012



„Eigenverantwortung“ steht für die Bereitschaft, selbst für die eigenen Handlungen einzustehen. Dies kann mühsam, schwierig oder sogar gefährlich sein. Aber ebenso wahr ist: Niemand will eine Marionette sein, die an Fäden hängt, die von anderen gezogen werden. Vielmehr wollen alle Menschen im Rahmen des Möglichen frei sein, d.h. ihren Handlungsspielraum nach eigenem Ermessen ausschöpfen. Dieser Wunsch nach Freiheit ist untrennbar mit der Übernahme von Eigenverantwortung verknüpft. Eigenverantwortung zu zeigen bedeutet dementsprechend, sich den Handlungsspielraum von externen Mächten so wenig als möglich einschränken zu lassen. Dem Wunsch nach Eigenverantwortung entspricht die Handlungsmaxime, unsere Angelegenheiten möglichst in die eigenen Hände zu nehmen und die Kontrolle unserer Handlungen nicht anderen zu überlassen. Oder mit den Worten Kants: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
(Manfred Kienpointner, Sprachwissenschaftler)