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Annja Krautgasser w


Talszenen:
Das verzauberte Tal


A 2022 | 28:50 min | HD 16:9 | Farbe | DCP 5.1

von Barbara Horvath

Es ist eine Art der „Bestandsaufnahme” einer Welt im Tal. In den Bergen, über karge Steinlandschaften, unter Tieren, an mäandernden Bächen entlang setzt sie ihren sanften Gang, ein geisterhaftes und nomadisches Umherstreifen durch eine friedvolle, puristische Natur, sich selbst genügend, ohne Zeichen menschlicher Zivilisation. Die Kamera folgt ihr, der Diala, dem übermenschlichen Wesen behutsam mit außerordentlicher Poesie.
Annja Krautgasser erzählt - basierend auf dem rätoromanischen Lied Canzun de Sontga Margriata (7 Jhdt. n. Chr.) – die heidnische Legende der Heiligen Margriata, die als Mann verkleidet sieben Jahre lang unerkannt unter Sennern in den Bergen lebt, bis ein Hirtenjunge zufällig ihr Geheimnis entdeckt und sie verraten möchte. Margriata bedrängt ihn mit zauberhaften Geschenken, die er wiederholt ausschlägt. Seiner Begierde zum Verrat nicht widerstehend könnend, verflucht Margriata den Hirtenbub schließlich und flieht aus dem paradiesischen Tal, das von nun an verödet und vertrocknet.

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© Videostill Das verzauberte Tal

Margriata verkörpert als Diala die archetypische Figur der wilden, selbstbestimmten, feenartigen Frau, die frei über ihr Tun und Handeln entscheiden möchte. Das Wissen von der Präsenz und dem Wirken der Dialen ist im romanischen Sprachgebiet noch heute unbestritten. Sie sind Naturwesen und in den meisten Sagen besitzen sie Gewalt über Glück oder Unglück, zuweilen verbergen sie auch ein Geheimnis: „Und fiel auf eine böse Platte von Stein, das sich entdeckte des Busens Schein.“ Das Lied von der heiligen Margareta (mit 3 Singstimmen) ist mit seinem immer wiederkehrenden Refrain des Hirtenjungen („Das will ich nicht, das nehm‘ ich nicht, das muss unser Senner wissen, welch glückselige Maid wir besitzen“) eines der ältesten überlieferten (und fast in Vergessenheit geratenen) oral-literarischen Zeugnisse. Es ist aber auch ein spannungsgeladenes Drama im Schlagabtausch zwischen Margriata und dem Hirtenjungen. Auf einer strukturellen Ebene folgt das filmische Bild dem Hin und Her des Dialogs im abwechselnden Spiel von perspektivisch unterschiedlichen Naturaufnahmen (Nahsicht, Panorama, extreme Aufsicht) mit dem gestischen „Schauspiel“ der Diala. Die repetitive Struktur des Liedes treibt auf akustischer Ebene die Erzählung voran, immer wertvoller werden Margriatas Angebote an den Knaben. Erst als ihre Verwünschung ihn im Boden versinken lässt, besinnt er sich kurz, um doch der Anerkennung des (männlichen) Senners durch die Preisgabe des Geheimnisses zu erliegen.

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© Videostill Das verzauberte Tal

In der Natur, aus und mit der Natur vermag die ganz in weiß gekleidete Margriata, in Anlehnung an Ingrid Bergman in Roberto Rosselinis Stromboli, terra di Dio (1949) das Ungeheuerliche der Landschaft mit all ihren Sinnen in sich aufzunehmen. Diese Erfahrung des Erhabenen liegt nicht in der Landschaft selbst, sondern in deren menschlicher Empfindung begründet. Die Anschauung von etwas Unbegrenztem oder, wie Immanuel Kant formuliert, schlechthin Großem, also etwas, das sich unserer Wahrnehmungsfähigkeit eigentlich entzieht, gebiert gleichzeitig die Angst vor dem Unvorhersehbaren, dem Unendlichen bzw. weist in die Schranken des Endlichen, des Vergänglichen, welche für Gilles Deleuze in Zeit-Bildern erstmals filmgeschichtlich im italienischen Neorealismus zu Tage treten. Die optische und akustische Situation in der sich Margriata befindet, führt dazu, dass das Bild nicht mehr nur gesehen, sondern „gelesen“ wird.

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© Videostill Das verzauberte Tal

Auf der Flucht von der Insel, über den schwefelig-rauchigen Berg, fleht Ingrid Bergmann um Gottes Hilfe, weint, bricht zusammen, dennoch entschlossen engstirnigen, patriarchalen Strukturen zu entkommen. Auch Margriata besteht dem Hirtenknaben gegenüber auf ein selbstbestimmtes freies Leben. Sie legt ihr Geschlecht offen, beharrt darauf als Diala anerkannt zu werden. Am nebelverhangenen Gipfel dreht sich Margriata noch einmal um. Einmal mehr zeigt Annja Krautgasser in der Figur der weiblichen Heiligen die Ausweglosigkeit gegenüber hegemonialen Mächten und das Ringen der an den Rand Gedrängten, deren Fragilität und individuellen Widerstand.
Ingrid Bergman geht. Margriata geht. Undine geht: „Für das Ende, das kein Ende findet. Es war nie zu Ende.“

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© Videostill Das verzauberte Tal




Regie: Annja Krautgasser
Kamera: Martin Putz
Tonaufnahmen: Julia Sternthal, Ursula Winterauer
Sounddesign: Ursula Winterauer
Schnitt: Julia Sternthal
Bildbearbeitung: Martin Putz
Soundmix: Sebastian Meyer
Assistenz: Wolfgang Oblasser
Kostüm: Inès Fogarasi
Rhaeto-Romanic Coach: Remo Arpagaus
Deutsche Übersetzung: Pater Maurus Carnot
Englische Übersetzung: Chris Michalski
Volkskundliche Beratung: Werner Kopp

Schauspielerin: Nina Fog (Margriata)
Gesangstimmen: Nozomi Yoshizawa (Margriata), Jonathan Reich (Hirtenjunge), Kurt Kempf (Erzähler)

Literaturquelle: "Die Verzauberten Täler" (Christian Caminada)

Dank an: Gemeinde St. Jakob in Defereggen, Neue Reichenberger Hütte, Jausenstation Trojeralm, Wegegemeinschaft Trojertal, Uli Fussenegger, Dariusz Kowalski, Fam. Krautgasser


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