Rollenszenen - Nothing to say

(Ausstellungsloop)
Mitschnitt der gleichnamigen Performance

A 2019 | 11 min | HD 16:9 | Farbe | Stereo
Monologtext: Nick Hauser
Stimme: Vivien Löschner
Darstellerin: Nina Fog


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© Videostill Rollenszenen

 

Konstantes Rollenspiel


von Juliane Feldhoffer

Eine Person betritt den Bildraum vor einer Kamera. Sie trägt einen weißen Overall und verstärkt mit ihrer Erscheinung und ihrem Verhalten unser intuitives Gefühl, Zeugen eines Verhörs oder ähnlichem zu sein. Mit dem Erscheinen der Protagonistin – sie nimmt auf dem Stuhl vor einem Tisch, direkt gegenüber der Kamera Platz – beginnt eine Stimme, gleichsam einer Verkörperung eines „unbekanntes Systems“ – gewöhnliche bis seltsame, persönliche bis elementare Unfreiheiten, Unsicherheiten und Fehlerhaftigkeiten abzufragen oder Behauptungen über diese aufzustellen. Die Situation irritiert und lässt uns im Unklaren darüber, wo wir uns gerade befinden. An Antworten oder Reaktionen scheint die Person aus dem Off jedoch nicht interessiert zu sein, sondern setzt voraus, diese bereits zu kennen oder sie der Protagonistin – wie auch uns – unausgesprochen zu überlassen. Eine weitere, offensivere Stimme aus einem Megafon schneidet an mehreren Stellen schroff dazwischen, gibt Regieanweisungen für bestimmte Handlungspositionen und fordert die Person auf, unterwerfende Passagen zu wiederholen – diese folgt den Aufforderungen bis zum Ende des Geschehens, an der die Protagonistin sich dem System verweigert. Dabei wandert ihr Blick immer direkt in die Kamera. Sie blickt uns an und holt uns in das Geschehen hinein, macht uns damit zu Fragenden und Befragten zugleich.


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© Videostill Rollenszenen


„Nothing to say“ ist eine Versuchsanordnung, eine in sich verwobene filmisch-performative Arbeit, die sich subtil und sensibel an so komplexe Themengemenge wie Wahrheit, Manipulation und Perspektive herantastet. Verwoben deshalb, weil das vielschichtige Zusammenspiel aus Text, Stimme(n), Bildraum, Kameraperspektive, Protagonistin und Zuseher*innen beinahe unmerklich wechselnde Bezüge generiert und so immer wieder neue Reflexionsebenen eröffnet. Annja Krautgasser stellt uns einem anonymen Raum, einer unbekannten Person in einer ebenso unklaren Situation gegenüber. Die Protagonistin ist als Individuum erkennbar, nimmt aber in ihrem weißen Overall gekleidet in dieser seltsamen Befragung oder Begutachtung sukzessive die Rolle eines Spiegel- oder Sinnbilds für uns und unsere alltäglichen insgeheimen Unzulänglichkeiten, aber auch für die Möglichkeit von Ermächtigung ein. Der sonderbar poetisch-analytische Fragen-und Beurteilungskatalog erschließt keine weitreichenden Kontexte, sondern kundschaftet eher die Grenzen unserer persönlichen und privaten Komfortzonen aus.


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© Videostill Rollenszenen

Der visuell maximal reduzierte Bildraum, den die Künstlerin hierfür generiert, dient nicht dazu dem Text einen klaren Umriss, eine deutliche Form zu geben, sondern macht umgekehrt in seiner Offenheit die Komplexität der verhandelten Inhalte spürbar. Diese Metaebene ist relevant, schließlich geht es um nichts weniger, als um die Rollen, die Konformitäten, die wir als Individuen und als Teile einer Gesellschaft einnehmen und um die Frage, wodurch diese gesteuert werden und wie wir uns dazu verhalten. Die Inszenierung dient als Vehikel, um über die äußeren, systembedingten, auch unsere eigenen Ängste zu erkunden und in einen Zusammenhang zu bringen. Die Auszüge aus Nick Hausers Text bilden hierfür das verbale Netz, das uns unbemerkt einfängt. Obwohl wir glauben einer anderen Person bei dieser Konfrontation zu folgen, sind wir selbst diejenigen, denen man auf die Schliche kommt. Der unberührte Raum wird frei von sichtbaren Bezügen so zu einem Gedankenmodell, das ein aufschlussreiches Bild einer Gesellschaft skizziert, in der es dringend an Zeit ist, tief einzuatmen und etwas von Bedeutung zu sagen.


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© Videostill Rollenszenen


RITUALS III – MACHT


Fotogalerie Wien
03.03.– 04.04.2020
Kuratiert von Susanne Gamauf, Brigitte Konyen

Rituale sind ein wichtiger Bestandteil des Ausdrucks- und Kommunikationsverhaltens des Menschen und sagen viel aus über Werte, Rollenverständnis und das soziale Miteinander, in dem sie häufig eine regulierende, unterstützende Funktion einnehmen. Die komplexe Inhaltlichkeit und große Bedeutung des Rituals für den Menschen hat das kuratorische Team der FOTOGALERIE WIEN dazu inspiriert, einen Schwerpunkt mit vier Ausstellungen mit internationalen KünstlerInnen in den Jahren 2019/2020 zu konzipieren. Der Begriff „Ritual“, ursprünglich nur im liturgisch-zeremoniellen Kontext üblich, wird heute für alle gesellschaftlichen Bereiche verwendet. Das Ritual ist eine nach vorgegebenen Regeln und meist in festgelegter Reihenfolge durchgeführte Handlung mit primär identitäts- und sinnstiftendem Ziel, d.h. mit dem Wunsch nach Orientierung, Erkenntnis und gemeinschaftlichem Handeln. Es setzt sich ab von alltäglichen
Gewohnheiten bzw. instrumentellen, regelmäßigen und vor allem zweckorientierten Tätigkeiten, denen aber ein „ritueller Charakter“ zugeschrieben werden kann. Das Ritual besetzt somit vor allem den geistigen und emotionalen Raum. Charakteristisch für das Ritual sind zudem Inszenierung, Prozessualität und meist hohe Symbolhaftigkeit.
Die vier Ausstellungen beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Ritualen und den damit einhergehenden Beziehungsgeflechten; mit Ritualen, in denen sich Machtdemonstration, Unterdrückung und Ausgrenzung artikulieren, sowie mit religiösen und anderen zeremoniellen Ritualen. Im Zuge dessen werden die mit den verschiedenen Ritualen verbundenen Codes, Haltungen und Kommunikationsformen untersucht.

Die KünstlerInnen der dritten Ausstellung analysieren und dekuvrieren Demonstrationen von Macht, wie sie von Autoritätspersonen inszeniert werden; diese zielen auf Beherrschung, Unterdrückung, Indoktrinierung, Kontrolle und Disziplinierung von Menschen. Hierzu gehören symbolische Formen wie Gestik, Mimik und Pose sowie in Szene gesetzte Insignien der Macht und suggestive oder aggressive verbale Order. Diese sind in allen Ländern und Gesellschaften üblich und oft ähnlich; sie sind auf Grund ihres gezielt eingesetzten und sich wiederholenden Charakters als Rituale der Macht zu lesen. Die KünstlerInnen untersuchen Mechanismen von Machthabenden aus u.a. Politik, Militär, Polizei und Kirche sowie in hierarchisch orientierten Gesellschaften, wobei zum Teil eigene Erfahrungen von Repressalien einfließen. Vielfach werden Machtdemonstrationen als (sinn-)entleerte, absurde Rituale entlarvt. Angesprochen werden auch aus Machtansprüchen resultierende Rituale des Protests, der
Verweigerung oder der Befreiung der Unterdrückten.
(Petra Noll-Hammerstiel)

mit: Christian Eiselt (At), Köken Ergun (Tr), G.R.A.M. (At), Annja Krautgasser (At), Edgar Leciejewski (De), Aernout Mik (Nl), Anna Mitterer & Marcuse Hafner (At), Sandra Monterroso (Gt), Lisl Ponger (At), Elinora Schwartz (Il), Angelika Wischermann (De/At)

Ausstellungsansichten von Fotogalerie Wien ©Michael Michlmayr

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Rollenszenen @


Raumtriade



Künstlerhaus Bregenz


13.03. - 19.04.2020

alle Ausstellungsansichten fotografiert von Florian Raidt:



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Installationsansicht Rollenszenen, 200 x 200 cm, 2020


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Installationsansicht Rollenszenen, 200 x 200 cm, 2020


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Installationsansicht Rollenszenen, Detailansicht: Lay Your Head Down, Eddingzeichnung, 100 x 70 cm, 2019


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Installationsansicht Rollenszenen, Detailansicht: Notizen, 2 Zeichnungen je 210 x 148 mm, 2019


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Installationsansicht Rollenszenen, Detailansicht: must-read, kaschierte Bücher mit Anmerkungen (gezeichnet), 2019

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Installationsansicht Rollenszenen, Detailansicht: Take a Walk Around the Table, 8 Zeichnungen, 30 x 21 cm, 2019


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Installationsansicht Rollenszenen, Detailansicht: Is It Me?, 8 Polaroidfotos, 10 x 10 cm, 2020