Waldszenen


A 2015 | 30 min | HD 16:9 | Farbe | Stereo | engl. UT

„Ich wandere durch die Gegend ohne Ziel oder Zweck“, heißt es im Offtext von Annja Krautgassers streng strukturierter Versuchsanordnung. Einsam streunt eine junge Frau durch einen nasskalten Wald, durchmisst Licht, Schatten, Dunkelheit; als Suchende ohne Ziel, als Mensch, der mit inexistenten Hunden spazieren geht. Immer wieder fokussiert Martin Putz’ Kamera Stillleben – Baumkronen, die sich hinter dichtem Regenvorhang verstecken –, um schließlich mit der Protagonistin weiter in die unwirtliche, seltsam unwirkliche Umgebung vorzudringen. Hinein in ein Labyrinth, in dem gleich vielfache rote Fäden Wege weisen, sich verknoten und bisweilen in die Irre führen.

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Angelehnt an wiederkehrende Textfragmente aus Agnès Hoffmanns Roman so viele Tage ersinnt Krautgasser eine bruchstückhafte Narration, die den Wald gleichzeitig als Bühne aber auch als Projektions- oder vielmehr Reflexionsfläche begreift, nutzt und bespielt: Wie selbstverständlich wird die Protagonistin zwischen Moos und Geäst in ein Fernsehinterview verwickelt, das in Referenz zu Jean-Luc Godards One plus One – Sympathy for the Devil zum regelrecht absurden Ja-Nein-Fragespiel mutiert. War Godards Befragte („Eve Democracy“) noch vom Streben nach Revolution beseelt, so kündet Krautgassers Streunende, genannt Alva, von Pragmatik und Ernüchterung: „Kann man heutzutage noch Revolutionärin sein?“ wird sie gefragt. Sie verneint – abgeklärt und kühl wie ihre Umgebung.

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In Andeutungen wie diesen legen die nur vorgeblich zeitlosen Waldszenen ihren historischen Index offen, wird das undefinierte Niemandsland wage in der Jetztzeit verortet. „Wollten sie Marija Aljochina anrufen?“, hakt der Redakteur nach. „Oder Edward Snowden? Oder Arifa Bibi?“ Alsbald kulminiert das Gespräch in der Befragung systemischer Abhängigkeiten von Kapital über Konsum bis Crystal Meth. Und verliert sich schließlich in den Waldweiten – unaufgeregt und konsequent ungelöst.
Es soll dies nicht das einzige Reenactment bleiben, das sich im Forst vollzieht. Vielmehr entpuppt sich das nadelhölzerne (Referenz-)Dickicht als komplexes Bezugssystem zwischen Protagonistin, Film und Welt. Bald schon durchstreifen Pilger_innen die Abgeschiedenheit, ohne auch nur die geringste Kenntnis von Alva zu nehmen, oder wird der mythologisch konnotierte (und opulent fotografierte) Naturraum samt seiner omnipräsent fleuchenden Dämonenwelt mit Klanghölzern beschwört: Die Macher des Films Forst* treffen auf Apichatpong Weerasethakul, die Wandernde wird zur modernen Schamanin – somehow lost in space.

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„Er dokumentiert einen Kampf an einer verhärteten Front“, schreibt Amon Brandt in einem Text über den zitierten Film von Breuer und meint damit den Kampf um die Wirklichkeit. Möglicherweise verbindet gerade dieser die episodischen Erzählstränge Krautgassers: Der Kampf um eine ureigene Wahrheit und die Ermächtigung, die mit der ungewissen Suche danach einhergeht.
„Man hat keine Ahnung, welche Wirklichkeit halten wird“, heißt es folgerichtig im Off während Nebelschwaden den Hain ins diffuse Zwielicht zwingen. Irgendwo mittendrin: eine Frau, nur vermeintlich lost, doch längst schon found in uncertain space.
(Sebastian Höglinger)


Credits:
Drehbuch | Regie | Schnitt: Annja Krautgasser
Kamera: Martin Putz
Kameraassistenz: Wolfgang Oblasser
Rechercheassistenz: Gerald Straub
Produktionsassistenz | Casting: Anna Spanlang
Dramaturgische Beratung: Marie-Therese Thill
Tonaufnahmen | Tonbearbeitung | Mischung: Peter Kutin
Alva | Off Stimme: Juliane Zöllner
Journalist: Alexander Ebeert
Offtext aus dem Roman so viele Tage von Agnès Hoffmann
Produziert vom Verein OCCER
Gefördert durch das BKA, Land Tirol, unterstützt durch die ÖBF (Wildmedia)

* Die erwähnte Pilgerszenen entstand unter der Regie von Ben Pointeker aus dem Film Forst von Wolfgang Konrad, Ascan Breuer, Ursula Hansbauer - in Kooperation mit Julia Lazarus, Ben Pointeker, wr.

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Anfangsszene Waldszenen
A 2015 | 30 min | HD 16:9 | Farbe | Stereo | engl. UT



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Screening:
• Diagonale 2015 - Festival des österreichischen Films, A-Graz • VIS, 12. Internationales Festival für Kurzfilm, Animation & Musikvideo, Österreich Wettbewerb 2, A-Wien • FID – 26. Festival International de Cinéma Marseille, F-Marseille




Waldszenen


A 2015 | 30 min | HD 16:9 | Farbe | Stereo | engl. UT

Eine junge Frau in dunkel glänzender Regenmantelhaut ist alleine im Hochwald unterwegs. Später wird sie dort im Gehen ein langes Interview geben. Aus dem Katalog von Entscheidungsfragen, die sie einem jungen Mann und seinem kleinen Aufnahmeteam beantwortet und die politischen und persönlichen Inhalts sind, formt sich das Profil der „Alva Aktivismus“ aus Leipzig. Die einsilbige Akteurin dient als Projektionsfläche und Modell. Eine Frauenstimme aus dem Off bietet eine weitere, facettenreiche (Lebens-)Geschichte an.

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Annja Krautgassers Waldszenen bespielt also von Anfang an mehrere Ebenen – und er lässt sich als kleines Kompendium filmischer Ausdrucksformen beschreiben: Er beginnt mit stummen Zeitlupenaufnahmen. Auf statische Landschaftspanoramen folgen eine Plansequenz, horizontale Fahrten, Handkameragänge und Close-Ups, hinter denen der Umraum verschwindet. In knapp einer halben Stunde Dauer spielt der Film unterschiedliche Genres durch. Waldszenen ist literarischer Essay, (fiktionales) Frauenporträt, Landschaftsstudie und Naturdoku, und er enthält Spurenelemente von Drama, Horror, Mystery.

Das Medium und seine Geschichte werden am Ende auch insofern als Bezugspunkte aufgedeckt, als Krautgasser sich an drei Stellen explizit auf Vor-Bilder bezieht: Die lange Interviewszene wird im Abspann als Reenactment von jener aus Jean-Luc Godards One Plus One ausgewiesen. Die Pilgerszene aus Forst unter der Regie mehrerer FilmemacherInnen* und die Dämonenbeschwörung aus Tropical Malady von Apichatpong Weerasethakul sind die beiden anderen Referenzen. Agnès Hoffmann, die Autorin des Romans "so viele Tage", aus dem die Off-Texte stammen, hat übrigens zu diesem Verfahren passend schon im Leipziger Nachsteller Verlag veröffentlicht.
(Isabella Reicher)

* Die erwähnte Pilgerszenen entstand unter der Regie von Ben Pointeker aus dem Film Forst von Wolfgang Konrad, Ascan Breuer, Ursula Hansbauer - in Kooperation mit Julia Lazarus, Ben Pointeker, wr.
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